Haushaltsrede 2006

Ratssitzung am 1. Februar 2006 14:00 Uhr


„Der Blick in die heutige Stadtkasse passt zu einer Feststellung, die unser Altbundeskanzler Helmut Kohl bereits am 03.02.1983 zum Thema „Reichtum in unserem Land“ getroffen hatte. Helmut Kohl kam in der Illustrierten „Quick“ zu folgender Erkenntnis: „Ich finde, dass es in der Bundesrepublik außerordentlich viele attraktive und schöne Frauen gibt. Und gerade das gehört auch zum natürlichen Reichtum unseres Landes.“


Ein Blick in die Runde des Rates bestätigt, dass dieser Reichtum der einzige Reichtum ist, der Oer-Erkenschwick geblieben ist. Sogar die UWG muss hier dem Kämmerer Recht geben, wenn dieser noch am 10. Januar 2006 (SZ) der Öffentlichkeit mitteilt: „Die Sanierung unserer Finanzen ist aus eigener Kraft ganz einfach utopisch. Wir können uns aus eigener Kraft niemals mehr aus dem Schuldensumpf befreien“. Was ist dieser Einsicht noch hinzuzufügen?


Vielleicht die Infragestellung der Sinnhaftigkeit von fiskalischen Hochrechnungen, ob ich 117, 119 oder 143 Jahre alt sein werde, bis die Stadt wahrscheinlich wieder einen eventuell ausgeglichenen Haushalt vorlegen kann. Bis dahin werden wir als Kommune wohl über keine Investitionen nach freier Ermessensentscheidung mehr beschließen können, geschweige die noch wenig verbliebenen freiwilligen Leistungen den gestiegenen Lebenshaltungskosten anpassen dürfen.


Die für den Bürger real spürbaren Maßnahmen fokussieren sich in den Haushaltsreden angesichts wachsender Schulden und völlig leerer Kassen zunehmend auf die Bekundung von Notwendigkeiten, politische Absichtserklärungen, Erteilung von Prüfaufträgen an die Verwaltung und manchmal sogar auf die Beschlussfassung über die Installation einer zusätzlichen Straßenlaterne in einem Neubaugebiet oder das Anschrauben einiger Fahrradhaltegriffe an Fußgängerampeln.


Wer unserer Stadt den Geldhahn derart zudreht und ihr ständig weitere kostenintensive Zuständigkeiten ohne jegliche Kompensation aufs Auge drückt, nimmt billigend – oder darf man auch vermuten – zielgerichtet die Aushöhlung unserer kommunalen Selbstverwaltung in Kauf, getreu dem Motto „Ohne Moos ist dem­ächst auch in den Stadtvertretungen nichts mehr los“.


Einige Beispiele für diese wachsenden exogenen Kostenfaktoren und damit die erdrückende Fremdbestimmung durch Kreis, Land und Bund:

  • die Kreisumlage, die es dem Landrat Herrn Welt ermöglicht, losgelöst von Haushaltssicherung und Sparkommissar nicht nur unserer Stadt ständig neue Ratschläge zu geben, wie andere Geld sparen sollen.
  • der Solidarbeitrag für die ostdeutschen Bundesländer. Selbst auf die Gefahr als, Chauvinist abgestempelt zu werden, erlaube ich mir die Frage: Wer ist solidarisch mit der armen Weststadt Oer-Erkenschwick?
  • Hartz IV entwickelt sich für die Städte zu einem selbst würgenden Selbstläufer, der die Finanzlöcher immer tiefer reißt, wenn weiterhin 71 % der Unterbringungskosten die Stadt zahlen muss und der Bund nur 29 % der Kosten trägt.
  • die gewaltige von der Stadt zu tragende Kostenexplosion im übrigen Sozialbereich erreicht allein bei der Heimunterbringung von Kindern und Jugendlichen inzwischen ein Vielfaches dessen, was wir insgesamt für alle TOTs, die verbandliche und kirchliche Jugendarbeit sowie die Sportvereine ausgeben.


Wer angesichts dieser Kosten treibenden Entwicklung nun auch erhöhte Schlüsselzuweisungen erwartet, wird wohl nur noch gemeinsam mit Andreas Krebs – wie dieser am 16. Januar 2006 in der Presse (SZ) androhte – „murren und knurren“ können, wenn die Schlüsselzuweisungen in 2006 sogar noch um ca. 700.000 € gekürzt werden sollen.


Gleichwohl sollten wir auch selbstkritisch unsere Haushaltssituation betrachten. Wir kennen keine Stadt in NRW, die eine so desolate Haushaltslage aufweist wie Oer-Erkenschwick. Die aktuelle vierteljährliche Bestandsaufnahme des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik zeigt, dass die Personalausgaben in Oer-Erkenschwick trotz Personalabbaus mit 417 € pro Einwohner um 8 % über dem Landesdurchschnitt liegen. Das heißt: Weniger Mitarbeiter/Innen bekommen mehr Geld. Die Beförderungswelle in der Verwaltungsspitze lässt grüssen.


Eine Spitzenposition nimmt Oer-Erkenschwick mit 45 % höheren Zinslasten gegenüber dem Landesdurchschnitt z.B. für Kassenkredite ein. Katastrophal der Vergleich der Steuereinnamen, 44 % unter dem Landesdurchschnitt, bei den Gewerbesteuern sogar 66 %. Hier sollten die Verantwortlichen in der Verwaltung mal Nachhilfeunterricht in „richtig“ CDU-geführten Kommunen nehmen.


Die UWG wird heute keine neuen Anträge stellen, die finanzielle Auswirkungen auf den städtischen Haushalt haben. Wir haben dafür seit Einzug in den Rat bewiesen, dass wir ungeachtet aller anfänglichen Widerstände wichtige Positionen richtig akzentuiert haben. Wir erinnern an unsere Anträge vom 11.02.2000 zur „Vermarktung von Werbeflächen auf städtischen Fahrzeugen“ und zur „Entwicklung einer offiziellen Homepage der Stadt Oer-Erkenschwick“. Als UWG-Initiative zunächst abgelehnt und dann doch realisiert.


Wir verweisen auf unsere Anträge vom 07.02.2001 in Sachen „Fortbildung im NKF“ (neues kommunales Finanzwesen) und „Stadtmarketing“. Als UWG-Initiative zunächst abgeschmettert und dann doch eingeführt.


Bei den Haushaltberatungen am 05.02.2002 wird der UWG-Appell, z.B. bei den Repräsentationskosten etwas Sparsamkeit zu zeigen, noch müde belächelt. Inzwischen greift überall die Rasenmähermethode.


Der UWG-Antrag vom 06.02.2003, mögliche Kostenoptimierungen insbesondere im Reinigungswesen und bei der Pflege städtischer Grünflächen zu prüfen, wird im Rat abgelehnt, um ihn anschließend im Rathaus trotzdem umzusetzen. Denn wie sonst erklärt sich die empörte Erklärung des Bürgermeisters bei entsprechenden Anträgen der FDP im letzten HuF, dass die Verwaltung hier bereits sämtliche Einsparmöglichkeiten überprüft habe, denn schließlich würden „keine Deppen in seinem Hause sitzen“.


Erst einmütige Ablehnung am 04.02.2004 auch für den UWG-Antrag, die Fraktionszuwendungen angemessen zu kürzen, um diesem UWG-Anliegen danach „in neuer Verpackung“ doch Recht zu geben.


Die prinzipielle „Vorab-Ablehnung“ von Anträgen, nur weil sie aus einem anderen politischen Lager kommen, ist nicht Sache der UWG. Wenn Überlegungen überzeugen, betreibt die UWG keine Blockadepolitik. Wir werden deshalb bei den drei Anträgen der CDU („Herrichtung eines Rad- und Fußweges von der Lippestraße zur Esseler Straße“ – „Einbeziehung des Radwegenetzes unter touristischen Gesichtspunkten in das Verkehrskonzept“ – „Realisierung eines Sportparcours Haard aus den nicht verbrauchten Mitteln der Sportpauschale“) nicht mit Nein stimmen.


Dies gilt auch für die Arbeitsaufträge der SPD-Fraktion (SZ 07.01.2006) an die Verwaltung („Prioritätenliste Kinderspielplätze“ – „Erfahrungsbericht der AWO-Schulsozialarbeiterin“). Wenn die Hauptschule als eine Säule des gegliederten Schulsystems eine Überlebenschance haben soll, kann das Angebot eines qualifizierten Ganztagesbetriebes für manche Eltern mit ein wesentliches Kriterium für diese Schulwahl sein. Deshalb besteht gerade hier Handlungsbedarf, damit diese Schulform nicht weiter zur Restschule verkümmert, die dann allein aufgrund der Schülerzahlen ihre Existenzgrundlage verliert. Den Wunsch nach einem neuen Parkettboden in der Stimbergturnhalle kann jeder aktive Turniertänzer gut verstehen, denn insbesondere Tanzsport ist nur auf einem Parkettboden möglich und wäre als Vereinsangebot außerhalb einer Tanzschule in Oer-Erkenschwick sonst nicht zu halten.


Noch einigen Klärungsbedarf sehen wir als UWG bei den Anträgen der FDP. Es darf bei den Überlegungen, wo und wie zu sparen ist, keine Denkverbote geben. Wir meinen aber, dass über manche Denkvorstöße zunächst in einem nicht öffentlichen Rahmen offen und vorbehaltlos nachgedacht werden sollte und dass die Verwaltung hierfür konkrete, objektivierbare sowie auch extern überprüf- und vergleichbare Zahlen z.B. für das Reinigungswesen auf den Tisch legt, bevor sie meint, Vorschläge einer Ratsfraktion als „verantwortungslos“ abwerten zu dürfen. Diese vorbereitenden Überlegungen könnte z.B. ein Gremium verantwortungsbewusst leisten, das die BOE-Fraktion „Sparkommission“ nennt.


„Kein Bereich darf von Kürzungen ausgenommen werden“, forderte der NRW-Finanzminister Dr. Linssen im Gespräch mit dem Bund der Steuerzahler (01/2006). Die UWG sieht daher ohne Wenn und Aber Handlungsbedarf für die städtische Kulturpolitik. Die UWG erwartet bei der Kündigung der Pachtverträge Unterstützung von den Parteien, die hier persönlich im Wort stehen. Die UWG will eine öffentliche Ausschreibung und öffentliche Gelder einem Pächter mit gutem Leumund anvertrauen. Wir nehmen die wiederholten Beschwerden von Stadtsportverband und Jugendlichen sehr ernst, die für ihre Freizeit in der Stimberghalle die für sie völlig überhöhten Preise für ein Glas Cola zahlen müssen, weil – so wurde ihnen gesagt – Verzehrzwang beim Pächter besteht.


Die UWG fordert aber auch hinsichtlich der hohen und ständig wachsenden öffentlichen Zuschüsse an den Pächter eine Korrektur der Pachtverträge, damit künftig das unternehmerische Risiko der GmbH beim Pächter liegt, und nicht, wie die Gemeindeprüfungsanstalt kritisiert, durch öffentliche Zuschüsse, die letztlich wir alle als Bürger bezahlen müssen, deutlich reduziert wird (WAZ 10.01.2006). Auch wenn es Herrn Skodell freuen wird, Stimberg- und Stadthalle kommen dem Steuerzahler immer teurer zu stehen, angesichts unserer Finanzlage zu teuer, von 345.000 € in 2004 auf jetzt über 393.000 € in 2006.


Zum Dauerbrenner entwickelt sich das Maritimo. Statt „Leuchtturm“ nur noch „Leuchtdioden“ der getarnten Überwachungskameras. Die UWG appelliert daher an den Bürgermeister, den Einfluss der Stadt als Eigentümer stärker geltend zu machen, damit hier der Imageschaden nicht noch größer wird. Angesichts einer Zinsbelastung von etwa 2.500 € pro Tag – ich lasse mich gerne korrigieren – und einer Reduzierung der jährlichen Fixpacht um 120.000 €, die der Oer-Erkenschwicker Steuerzahler für das Maritimo zahlen muss, fragen immer mehr Bürger, welchen Gegenwert sie dafür erhalten, wenn sie 100 % der Finanzierungskosten tragen müssen, aber unseres Wissens nur 20 % der Besucher stellen. Die Oer-Erkenschwicker zahlen für ein Bad, in dem immer weniger Einheimische schwimmen gehen, dafür aber Besucher aus Mainz, Bremerhaven und Berlin (SZ 02.01.2006), Leute, die – so wurde uns stolz mitgeteilt – nicht mit der Wimper zucken, wenn sie beim Auschecken aus dem Saunatempel an der Kasse 200 € oder mehr mit ihrer Kreditkarte zahlen.


„Wir hatten zunächst überlegt, ob wir dem Haushalt 2006 überhaupt zustimmen“, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Schild am 07.01.2006 in der Presse. Die UWG hat sich diese Frage ebenfalls sehr ernsthaft gestellt und bittet zu akzeptieren, dass wir in dieser Frage zu einer anderen Antwort gekommen sind.


Die UWG wird in diesem Jahr der Haushaltssatzung nicht zustimmen. Offensichtlich braucht der Kämmerer neben den bereits laufenden langfristigen Zins- und Tilgungsverpflichtungen einen zusätzlichen Kassenkredit in Höhe von 60 Millionen €, damit Oer-Erkenschwick das Haushaltsjahr 2006 rechnerisch übersteht. Das bedeutet bei nur 47 Mio. erwarteten Einnahmen erneut mehr Kredite als laufende Einnahmen, ein zunehmender Eigenkapitalverzehr und fehlende Rücklagen für künftige Folgekosten. Wir müssen neue Schulden machen, um alte Schulden zu bezahlen.


Im Gegensatz zum Kämmerer vertritt die UWG weiterhin die Auffassung, dass eine Gemeinde keinen Kassenkredit aufnehmen sollte, um mit diesem Fremdkapital auf den Finanzmärkten zu spekulieren oder wie der Kämmerer es kameralistisch geschönt artikuliert, intelligente Finanzierungsalternativen zu realisieren.


Ein nicht ursächlich hausgemachter Teufelskreis, den wir als UWG nicht länger als finanzpolitische „Vorsehung“ akzeptieren können. Deshalb unser Nein zu haushaltsrechtlichen Vorgaben, die uns als Kommune nun schon seit Jahren zwingen, immer neue Schulden zu machen, ohne die alten richtig los zu werden. Wir möchten hier als UWG ein Signal setzen, das den Bürgern deutlich macht: So kann und darf es mit der finanziellen Ausblutung der Städte und damit zur kommunalpolitischen Entmündigung nicht weiter gehen.


Etwas Galgenhumor sei daher angesagt, wenn die Ausführungen zu unserer aktuellen Haushaushaltssituation nicht nur mit einem Zitat Helmut Kohl beginnen, sondern auch enden. Nach einem Gespräch mit Franz-Josef Strauß aus dem Affärenjahr 1984, was viele Köpfe – auch die von Barzel und Lambsdorff – rollen ließ, sagte er: „Wir haben ganz wichtige politische Fragen besprochen, und Sie sehen ja auch, ich bin wie immer, wenn es um wichtige Sachen geht, in bester Stimmung.“ (Westfälische Rundschau 01.01.1984).“



Vorgetragen von Helmut Lenk, Fraktionssprecher
(Es gilt das gesprochene Wort)